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„Eine Entwicklung, bei der das Silicon Valley mal nicht so dominant ist.“

Wenn es um zukünftige, prägende Technologien geht, dann gehört die Blockchain ohne Frage zu den häufig genannten. Sie reiht sich damit neben bekannten Begriffen wie Internet of Things, Künstliche Intelligenz und Big Data ein. Allerdings ist die Blockchain für viele noch ein Buch mit sieben Siegeln. Wird diese Technologie deswegen überschätzt? Oder überwiegen die Möglichkeiten der Blockchain der Skepsis vor dem Unbekannten?

Im Interview gibt Blockchain-Experte Friedrich Zwanzger eine Einschätzung zum Status Quo, sowie zu den Chancen und Potentialen der nicht unumstrittenen Technologie.

Immer mehr Medien berichten über die Blockchain, trotzdem ist sie für Außenstehende scheinbar ein schwer zu verstehendes Geheimnis. Ist das Thema zu komplex oder woran liegt es Ihrer Meinung nach?

Ja, das Thema ist vielschichtig und eben auch noch ziemlich neu. Wer von uns konnte denn das Internet mit seinen heutigen Möglichkeiten vor 20 Jahren erklären? Das war zehn Jahre vor dem allerersten iPhone. Damals haben wir uns noch mit einem piepsenden Modem und im Schneckentempo mit dem WWW verbunden – und möglichst schnell wieder getrennt, um die Telefonleitung nicht zu blockieren. Und Amazon hat nur ein paar Bücher in Amerika verkauft. Ich bin überzeugt, dass wir in zehn weiteren Jahren die Blockchain-Technologie gar nicht mehr so explizit wahrnehmen werden, sie aber für viele Bereiche unseres Lebens eine wichtige Grundlage bildet. Eben genau wie das Internet heute.

Wie könnte Ihrer Meinung nach die Skepsis gegenüber dieser neuen Technologie abgebaut werden?

Im Moment wird das Thema getrieben von Entwicklern und Spekulanten. Wenn aber mal Designer von Apple, das Coca-Cola-Marketing und Services à la Amazon dazukommen, wird es jeder verstehen bzw. zumindest benutzen können – was ja für den kommerziellen Erfolg letztlich auch das Entscheidende ist. Dabei werden sicher einige Hoffnungen der aktuellen Blockchain-Enthusiasten hinsichtlich einer gerechteren Weltordnung und dezentral verteilter Macht auf der Strecke bleiben, fürchte ich. Aber ich setze auf politisch-regulatorischen Druck und genug charismatische Visionäre, wie es Greta Thunberg beim Thema Klimawandel ist, dass die Blockchain-Technologie insgesamt einen positiven Effekt weltweit bekommen wird.

Gerade im Bereich der informationellen Selbstbestimmung in den Industrieländern und bei der Versorgung der Menschen in Entwicklungsländern mit Finanzdienstleistungen wie etwa Versicherungen, Geldanlagen und Kredite, gibt es jetzt zumindest technologisch mit Blockchains ganz neue Möglichkeiten.

Kryptowährungen werden in der Regel in einem Atemzug mit der Blockchain genannt. Sind diese beiden Technologien untrennbar miteinander verbunden oder gibt es auch Differenzierungen?

Beides hängt eng zusammen, denn man spricht ja auch vom „Internet of Value“, also einem Netzwerk, mit dem Werte ohne Beschränkungen sehr schnell weltweit transferiert werden können. Dies geschieht auf der Basis des Internets, welches damals den gleichen Durchbruch für den Transfer von Informationen gebracht hatte. Kryptowährungen – auch Cryptocurrency, Coins oder Tokens genannt – repräsentieren diese Werte und werden hin und her gesendet. Außerdem wird damit die Infrastruktur des Netzwerkes bezahlt, und zwar einerseits die Server-Hardware und Internet-Anbindung. Andererseits spielt auch die hohe Sicherheit eine wichtige Rolle.

Nichtsdestotrotz gibt es im Enterprise-Umfeld Blockchain-Systeme wie z. B. Hyperledger Fabric, die erstmal ohne Währung funktionieren. Hier sind aber im Unterschied zu den bekannten öffentlichen Netzen wie Bitcoin oder Ethereum auch nur relativ wenige große Firmen zusammengeschlossen – ähnlich wie in einem Lieferanten-Extranet oder B2B-Marktplatz im Vergleich zum großen Internet.

Auf Ihrem Blog schreiben Sie regelmäßig, dass die Blockchain – trotz der gegenwärtigen Abwehrhaltung – das nächste große Ding werden wird. Wie ist denn der Stand in Deutschland?

Aktuell dominiert in Deutschland, wie auch weltweit, die Spekulation mit den verschiedensten Kryptowährungen. Es fließt aber viel Geld in die Entwicklung von B2B-Anwendungen bei großen Firmen und auch viele Start-ups bauen wichtige Bausteine. Bis es zu einer wirklich großen Verbreitung kommt, wird es sicher noch fünf bis zehn Jahre dauern, weil komplexe Wertschöpfungsketten und Prozesse umzubauen sind.

Die gute Nachricht ist, dass gerade im Start-up-Bereich viele namhafte Projekte in Deutschland – vor allem in Berlin – angesiedelt sind. Zusammen mit den Hotspots in Asien, zum Beispiel in Singapur, ist die Blockchain-Technologie eine weltweit getragene Entwicklung, in der das amerikanische Silicon Valley mal nicht so dominant ist.

Die Blockchain hat also ohne Frage einige Potentiale. Welche davon sind für die nähere Zukunft am vielversprechendsten?

Etwas schneller als zehn Jahre könnte es im Bereich B2C-Zahlungen gehen, also voll digital bei Händlern zu bezahlen. Facebook wird hier zusammen mit vielen großen Partnern im Projekt Libra große Fortschritte bringen. Auch wenn das Wort Blockchain dabei eher aus Marketing-Gründen verwendet wird.

Ich denke, gerade in Deutschland gibt es hier Nachholbedarf, wenn man sich die asiatischen Märkte und Produkte wie WeChat oder AliPay ansieht. International gesehen wird nach dem Use Case der Unternehmensfinanzierung vor allem der Geldtransfer rund um die Welt bald verstärkt über Blockchain-Technologie erfolgen, weil dies viel schneller und kostengünstiger ist.

Die Blockchain – eine mögliche Definition: ist im Grunde eine beständig fortgeschriebene und nicht nachträglich veränderte Liste aus Datensätzen, die Blöcke genannt werden. Da die Datensätze mittels kryptografischer Verfahren aneinander gegliedert sind wie eine Kette, ist der englische Begriff Blockchain entstanden.

Etwas allgemeiner formuliert, spricht man auch von Distributed-Ledger-Technologie oder kurz DLT (Englisch für: dezentral geführte Kontobuchtechnologie).

Die Technologie ist auch die Grundlage von Kryptowährungen, deren erste Ausprägung Bitcoin war. Durch die Abhängigkeit der einzelnen Kettenglieder (die Daten-Blöcke), gilt die Blockchain-Technologie als besonders manipulationssicher und gewährleistet dadurch „Vertrauen durch Code”. Damit können Prozesse verschlankt und die Effizienz durch Eliminierung von Intermediären (vermittelnde Computer-Serversysteme) gesteigert werden.

Inwieweit wird die Blockchain den E-Commerce verändern? Zahlen wir alle in zehn Jahren nur noch mit Bitcoin und Co.?

Mit Sicherheit werden wir digitaler bezahlen, und es wird sicher viele verschiedene Coins geben. Dieser Vorgang ist aber vom Prinzip her vergleichbar mit herkömmlichen Zahlungsarten in Onlineshops. Entsprechende Konten vorausgesetzt, integriert der Händler z.B. ein Dienstleister-Plugin wie heutzutage PayPal, um den Kunden Krypto-Zahlungen zu ermöglichen. Das gibt es schon heute, wenn auch noch nicht sehr verbreitet.

Gleichwohl ist es gut möglich, dass sich bei Krypto-Tokens am Ende gar nicht die klassische Zahlungsfunktion als wesentliches Nutzungsszenario erweist. Vielmehr kann und sollte man das Thema deutlich weiterdenken: So sind Kryptowährungen beispielsweise auch für eine Verwendung in Loyalitätsprogrammen wie Flugmeilen oder Stadion-Wertkarten für Fans denkbar. Singapur Airlines erprobt bereits ein Loyalitätsprogramm auf Basis der Blockchain.

Haben Sie Empfehlungen für Unternehmen, die den Einstieg in die Blockchain-Technologie wagen wollen, und welche Fehler sollten dabei vermieden werden?

Zunächst gilt es zu hinterfragen, ob man die Blockchain-Technologie wirklich benötigt. Bei vielen in der Vergangenheit gestarteten Projekten ist das meines Erachtens nicht der Fall. Natürlich kann man durch neue Technologien auch Veränderungen in ggf. eingestaubte Geschäftsprozesse bringen. Besser wäre aber auf alle Fälle, die passende Technologie für die jeweiligen Anforderungen auszuwählen. In diesem Sinne unterscheidet sich die Herangehensweise oft kaum von anderen Digitalisierungsprojekten. Auch wenn die Technologie ihre Tücken hat – viel schwieriger wird sein, die nötigen Veränderungen im Denken und Handeln der Menschen zu erreichen. Deshalb sollten sich Unternehmer und Top-Manager auch jenseits des Hypes schon heute mit dem Thema Blockchain auseinandersetzen. Es sollten erste praktische Erfahrungen gesammelt werden, in Tandems aus erfahrenen Beratern und Kollegen im Unternehmen, damit das inhouse Know-how langsam aufgebaut wird.

Vielen Dank für das Interview, Herr Zwanzger!


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Bilder: iStock, netz98

 

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