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Behavioral Design

Behavioral Design: Die Weiterentwicklung des UX-Konzepts?

Reichten bislang die gängigen Methoden des UX-Designs aus, um Onlineangebote nutzerzentriert zu gestalten, ist inzwischen häufiger vom Behavioral Design die Rede. Dabei geht es um die proaktive Ansprache und Aktivierung von Nutzern. Doch was ist an dem Ansatz wirklich neu? Und was kann Behavioral Design im E-Commerce? Wir klären auf.

Wissenschaft und Praxis vereinen

Wie einfach doch die Welt schien, als das User-Experience-Design (UX-Design) noch das Maß aller Dinge in der Gestaltung von Webseiten war: Neue Templates und Wireframes wurden nach Erkenntnissen aus Nutzerumfragen entworfen und vor dem Go-Live durch ausgewählte Nutzer innerhalb von Usability-Tests erprobt. Was den Testpersonen an Elementen gefiel, blieb. Was nicht intuitiv genug war, wurde verändert. Diese äußerst praxisorientierte Herangehensweise ließ jedoch zumeist eine tiefergehende wissenschaftliche Betrachtung der Dinge außenvor. Genau hier setzt das in letzter Zeit immer öfter in der Branche diskutierte Konzept des Behavioral Design an.

Es soll Erkenntnisse aus der akademischen Forschung mit den Mitteln der praktischen Anwendung verknüpfen. Wie der Name bereits andeutet, steht der Aspekt des Verhaltens von Beginn des Designprozesses an mehr im Vordergrund. Wissenschaftliche Erkenntnisse darüber, wie Menschen auf bestimmte Designs und Funktionalitäten reagieren, sollen dem Seitenaufbau eine proaktivere Note geben. Es geht beim Behavioral Design weniger darum, das Onlineangebot nach den Vorlieben der Nutzer auszurichten, sondern es so zu gestalten, dass diese in eine vom Betreiber gewünschte Richtung gesteuert werden.

Dynamische Segmentierung: Steuern statt Zuschreiben

Eng verbunden mit diesem Vorhaben ist die altbekannte Methode der Segmentierung von Nutzergruppen. Diese basierte in konventionellem Sinn auf Umfragen, Tests und Erkenntnissen aus Verhaltensdaten. Darauf aufbauend wurden einzelne Nutzer in verschiedene Gruppen aufgeteilt, die zu den beobachteten Mustern passten. Der Nachteil war hierbei häufig das zu starre Konstrukt: Nachdem einzelne Personen willkürlich in diese Gruppen eingeteilt waren, blieben sie dauerhaft darin und waren in der Regel auch nur Teil einer einzelnen Gruppe. Es blieb unberücksichtigt, welche Motive zum jeweiligen Verhalten führten und dass sich dies in Zukunft schnell und jederzeit durch andere Kontexte verändern kann. Hinzu kommt, dass sich User nicht permanent so verhalten wie sie es in Umfragen vorgeben.

Entsprechend dynamischer gestaltet sich die Segmentierung, die dem Behavioral Design zugrunde liegt. Sie nutzt anstelle praktischer Umfragen und Testings wissenschaftliche Erkenntnisse aus der Verhaltensforschung (Behavioral Science). Es geht dabei weniger um Zuschreibungen bestimmter Verhaltensmuster und Eigenschaften, sondern viel mehr um die Fragen: Welche Zielgruppe soll das Webangebot erreichen? Was sollen diese Personengruppen dort optimalerweise tun? Und welche Trigger auf den Seiten braucht es jeweils, um dieses gewünschte Verhalten zu provozieren? Die Grundidee des Behavioral Design, dass sich bestimmte Personen mit bestimmten Inhalten zu bestimmten Aktionen verleiten lassen, soll ein Onlineangebot unabhängiger von sich wandelnden Rahmenbedingungen machen.

Psychologie der Trigger

Der Wesenskern des Behavioral Design ist es, psychologische Tricks auszunutzen, um Zielgruppen zu den gewünschten Aktionen zu treiben. Dabei spielen jene Faktoren eine entscheidende Rolle, die von der Verhaltensforschung als „Verzerrung“ (engl. Bias) bezeichnet werden: Menschen weichen unter gewissen Bedingungen in ihrem Tun vom dem ab, was in der jeweiligen Situation eigentlich logisch oder konventionell wäre. Diese Bedingungen als Trigger zu kreieren, ist der hauptsächliche Nutzen des Behavioral Design und unterscheidet es wesentlich vom klassischen UX-Design.

Solche Bias-Aspekte, mit denen sich die Nutzer steuern lassen, gibt es zuhauf. Während einige von der Wissenschaft noch gar nicht richtig erforscht wurden, ist der Effekt anderer Verzerrungen für den Alltagsgebrauch bestens erprobt. Letztlich zielen sie jedoch alle auf das Belohnungsmotiv: Der Trigger löst ein Verhalten beim Nutzer aus, welches ihm scheinbar eine Belohnung liefert. Durch diese Befriedigung angeleitet, wiederholt der Nutzer das Verhalten im Optimalfall, eine Art „neurologische Schleife“ setzt im Gehirn ein. Diese entsteht aber nur dann, wenn die Belohnung auch richtig ausgeteilt wird. Was bedeutet das nun in der Praxis konkret?

Bias-Aspekte im E-Commerce nutzen

Insbesondere im E-Commerce lassen sich diese Erkenntnisse des Behavioral Design gewinnbringend im Alltag nutzen, um Kunden zu binden und Kaufprozesse anzuregen. Die Elemente eines Onlineshops können schließlich auch ergänzend zu klassischen UX-Aspekten eine Wirkung auf Konsumenten erzielen. Dies gilt zum Beispiel für die folgenden Praxisfälle, in denen drei konkrete Phänomene aus der quasi unbegrenzten Vielfalt an Verzerrungen auftreten:

  • Darstellung von zeitlich begrenzten Aktionsangeboten oder limitiert verfügbaren Artikeln. Werden Kunden hier über auffällige Werbung zum schnellen Kauf verleitet, entspricht das dem Trigger der Aktivitätsverzerrung (action bias).  Auch wenn sie den Artikel vielleicht gar nicht so dringend brauchen oder Preis beziehungsweise Limitierung nicht so attraktiv sind wie sie zunächst scheinen, greifen Kunden dennoch zu. Sie verspüren den Drang, zu handeln und gehen davon aus, dass es in diesem Moment besser ist, etwas zu tun als diese scheinbar einmalige Situation verstreichen zu lassen. Das Gefühl der Kontrolle stellt sich ein, die Konsumenten sind beruhigt.
  • Ein weiteres Beispiel ist ein saisonales: Ein Onlinehändler bietet Kunden in der Vorweihnachtszeit einen Adventskalender auf seinen Seiten an, bei dem diese etwas aus der Produktpalette gewinnen können. Durch E-Mail-Werbung – etwa über Newsletter – und entsprechende Hinweise im Webshop werden Kunden täglich über das neue Türchen informiert. Kommen diese daraufhin jeden Tag auf die Seiten, um nichts zu verpassen, spielt einerseits auch hier die Aktivitätsverzerrung eine Rolle. Sofern ein Kunde dann tatsächlich täglich an dem Gewinnspiel teilnimmt, kommt noch die sogenannte Streuungsverzerrung (diversification bias) hinzu: Obwohl einzelne Preise hinter den Türchen vielleicht nicht ganz dem eigenen Geschmack entsprechen, nimmt der Kunde trotzdem täglich teil, um seine Gewinnchance zu erhöhen.
  • Ebenso treten Zerreffekte auch beim Erscheinungsbild eines Onlineshops insgesamt auf. Ein modernes und zugleich seriös anmutendes Layout wirkt sich bei den Konsumenten häufig positiv auf die Wahrnehmung der Produkte und Servicequalität aus. Im Gegenzug halten Stammkunden ihrem Lieblingsshop häufig die Treue, obwohl sich dieser womöglich in seinem Erscheinungsbild nicht weiterentwickelt oder zumindest nicht zum Positiven verändert. Langjährige positive Erfahrungen mit dem Händler führen in solchen Fällen zur Ist-Zustand-Verzerrung (status quo bias) – einer Festlegung auf vergangene Entscheidungen, die keine Veränderungen mehr zulässt.

Zahlen fehlen, Konzept im Kommen

Wenn E-Commerce-Plattformen zukünftig verstärkt auf solche Bias-Effekte aus dem Behavioral Design setzen sollten, liegt das in ihrem eigenen Interesse. Schließlich können Sie damit bei den Konsumenten effektiver die gewünschten Aktivitäten anregen als über reines, konventionelles UX-Design – zumindest theoretisch. Belastbare Statistiken, die den Erfolg von Maßnahmen aus dem Behavioral Design messbar machen, gibt es bislang nämlich noch nicht. Daran zeigt sich, dass dieses Konzept durchaus noch in den Kinderschuhen steckt und sich in der praktischen Umsetzung weiter etablieren muss – erst recht im E-Commerce. Dennoch dürfte es das klassische UX-Design mehr und mehr ergänzen, denn: In der schnelllebigen Welt des Onlinehandels schadet es keinem Händler, wenn er weniger reagiert und mehr proaktiv agiert.

Bild: freepik

 

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Hartwig Göttlicher
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